Tagesberichte 05.01. – 07.01.2016
Vor einigen Tagen haben wir bereits über die Situation der Flüchtenden aus sogenannten „Nicht-SIA-Staaten“ (SIA = Syrien, Irak, Afghanistan) berichtet. Wir haben von einer anderen Gruppe, welche die Lage der Menschen erkannte und anfing eine Unterstützung aufzubauen, die Standorte nach ihrer Abreise übernommen. Nach ersten Tagen der Orientierung und Gesprächen mit Betroffenen haben wir inzwischen immer stärker das Gefühl sinnvolle Hilfe innerhalb unserer
Möglichkeiten leisten zu können. Wir verteilen derzeit täglich mehrere hundert Decken, Socken, Sandwiches, Wasser, Schlafsäcke, Handschuhe, Mützen, Schuhe, Jacken und mittlerweile auch warmes Essen. Es bleibt selbstverständlich, dass egal welches Ausmaß an Unterstützung wir auch anbieten, es für uns noch nicht einmal ansatzweise möglich wäre, die minimalsten menschenrechtlichen Standards zu ermöglichen. Griechenland verweigert diesen flüchtenden Menschen, auch aufgrund politischen Druckes der EU, u.a. Deutschland, nicht nur eine lebensnotwendige Unterstützung, sondern arbeitet auch aktiv an einer Verschärfung ihrer Lebenssituation. Durch rechtliche Einschränkungen ist ihr Aufenthalt in diesem Gebiet illegalisiert und sie können jederzeit von der Polizei aufgegriffen und zurück nach Athen gebracht werden. Was dort weiter passiert, versuchen wir noch zu recherchieren. So leben die Menschen in ständiger Angst vor polizeilichen Übergriffen.
Besonders schwierig gestaltet sich auch die Situation mit einigen lokalen Unternehmer*innen, die die Notlage der Menschen ausnutzen, um mit überteuerten Waren Geschäfte zu machen. Diese haben verursacht, dass wir an wichtigen Treffpunkten der illegalisierten Menschen, wie z.B. einem Hotel und einer Tankstelle keine Sachen mehr ausgeben oder für Informationen vor Ort sein können. Sie haben uns wiederholt aggresiv bedroht und angekündigt die Polizei zu rufen. Wir mussten daraufhin unsere Unterstützung an diesen spezifischen Orten abbrechen, da Polizeipräsenz eine hohe Gefahr für die Flüchtenden darstellen würde.
Haben wir anfangs hauptsächlich Menschen an einem Ort unterstützt, erkennen wir erst jetzt durch die bessere Kenntnis des Gebiets das Ausmaß und die Dimension der Katastrophe, welche sich schon seit Monaten im unmittelbaren Grenzgebiet von Idomeni abspielt. Hunderte Menschen sind gezwungen in den Abbruchhäusern in diesem Bereich zu übernachten und sich auf die Fortsetzung ihrer Flucht durch Mazedonien vorzubereiten. Allein in dem kleinen Gebiet, in dem wir tagsüber aktiv sind, leben zumeist über 200 Menschen unter prekärsten Umständen. Wir haben uns entschlossen aufgrund der Erfahrungen der letzen Tage tagsüber möglichst lange vor Ort ansprechbar zu sein und haben so viele schockierende Flucht- und Verfolgungsgeschichten dokumentieren können. So haben wir Flüchtende getroffen, welche sich bereits auf ihren dritten Versuch zur Durchquerung Mazedoniens vorbereitet haben und die schockierenden Berichte von prügelnden und raubenden mazedonischen Polizist*innen erneut bestätigten. Teilweise wurden ihnen nicht nur – wie zuvor berichtet – die Wertsachen, sondern zudem auch die Rucksäcke, Jacken und sogar Schuhe abgenommen, bevor sie über die Grenze nach Griechenland zurückgeschoben wurden. So haben wir in den letzten Tagen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt viele Menschen in den Wäldern barfüßig angetroffen. Häufig hatten wir bei weitem nicht genug Schuhe, um sie versorgen zu können.
Andere sprachen mit uns über ihre Gründe für die Entscheidung zur Flucht. Ein junger Iraner erzählte von einer Beziehung zu einer Frau, welche Tochter eines hohen geistlichen Führers war, und er seitdem von diesem mit dem Tode bedroht wird. Ein Anderer hat mit seiner Familie seinen Glauben vom Islam zum Christentum gewechselt und ist seitdem im Iran von der Todesstrafe bedroht. Menschen mit ähnlichen Fluchtgeschichten treffen wir täglich in der Grenzregion und so erscheint es uns Tag für Tag absurder, dass für diese Menschen ein schlichter Strich auf einer Karte über eine Fortsetzung der „legalen“ Flucht oder deren Ende entscheidet und innerhalb von Sekunden, nur anhand einer Nationalität die individuellen Fluchtgründe diskreditiert werden. Die Tatsache, dass die EU das Leiden dieser Menschen bewusst ignoriert, überrascht uns dabei genauso wenig, wie die aus unserer Sicht vollkommen unzureichende mediale Begleitung dieser humanitären Katastrophe.
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