Seit über vier Monaten sind viele zehntausend Menschen auf der Flucht von Deutschland weiter nach Skandinavien gereist. Ein großer Teil von ihnen wählte die Fährverbindung von Kiel nach Göteborg. Wir haben mit vielen anderen ehrenamtlichen Helfer*innen zusammen die Flüchtenden auf ihrer Durchreise hier in Kiel unterstützt. Am Bahnhof mit einem Informationsstand, im Stena-Terminal mit Spendengeldern des Flüchtlingsrates zur Finanzierung der Fährtickets, sowie im Ostseekai mit Essen und Getränken und der Organisierung privater Schlafplätze.
In den letzten Wochen sind die Fluchtwege in und durch die europäischen Länder durch viele restriktive Maßnahmen verschiedener Staaten immer weiter eingeschränkt worden.
Nach Schweden können Flüchtende nur noch mit einem gültigen Reisepass einreisen, d.h. auch eine normale ID-Card reicht nicht mehr aus. Der Transit durch Schweden nach Finnland oder Norwegen ist nicht mehr möglich. Auf dem Landweg haben Schweden und Dänemark Grenzkontrollen eingeführt und weisen Flüchtende ohne Reisedokumente ab.
Auch der Weg bis nach Deutschland wird jeden Tag schwieriger. Zehntausende Menschen hängen in Griechenland fest, weil Mazedonien nur noch Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak weiterreisen lässt. Zuletzt war die Grenze sogar mehrfach für alle flüchtenden Menschen geschlossen. Auch die übrigen Staaten der sogenannten Balkanroute sind dabei durch Zäune, Schikanen, Polizeigewalt und unmenschliche Zustände Flüchtenden die Durchreise zu erschweren.
Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Anzahl der Menschen, die in Kiel ankommen, um nach Schweden weiterzureisen, drastisch zurückgegangen ist – von über 1000 Menschen an einem Tag sind es zur Zeit nur noch wenige Menschen, die noch eine Chance sehen, nach Schweden zu kommen.
Mit dem Rückgang der ankommenden Flüchtenden ist auch die Zahl der Aktivist*innen, die den Infostand am Bahnhof lange Zeit rund um die Uhr besetzt hatten, stark zurückgegangen, sodass wir uns in den Weihnachtstagen entschlossen haben, den Stand fortan nicht mehr aufrecht zu halten.
Stattdessen haben wir nun ein Plakat und einen digitalen Bilderrahmen am Bahnhof angebracht, durch den Flüchtende mit den wichtigsten Informationen versorgt werden.
Etwa zur gleichen Zeit wurde auch die Markthalle als Schlaf- und Aufenthaltsort für Flüchtende aufgegeben. Die wenigen ankommenden Menschen finden seitdem eine Unterkunft in der Kieler Jugendherberge. Sie werden dort weiterhin von „Kiel hilft Flüchtlingen“ betreut und erhalten von uns Unterstützung beim Kauf von Fährtickets. Außerdem organisieren wir in Zusammenarbeit mit einem Anwalt immer wieder das Nachsenden von Reisedokumenten aus den Heimatländern, die zum Kauf der Fährtickets nötig sind.
Für viele Menschen scheint sich das Drama der Massenflucht nach Europa etwas entspannt zu haben, weil wir nicht mehr so viele flüchtende Menschen in unserer Stadt sehen, vielleicht auch, weil diese Tragödie in den öffentlichen Kanälen kaum noch thematisiert und mehr und mehr durch rassistische und nationalistische Hetze verdrängt wird, die bis in die Partei der LINKEN hineinreicht. Doch dieser Schein trügt: Die Erstaufnahmeeinrichtungen – auch in Kiel – sind voll. Es sind weiterhin Hunderttausende auf der Flucht, tausende Menschen versuchen jeden Tag aus der Türkei einen Weg nach Europa zu finden. Immer noch stranden jeden Tag mehrere tausend Menschen auf den griechischen Inseln. Mehr als 140 Menschen, davon viele Kinder, sind allein in diesem neuen Jahr grausam ertrunken. Hunderte Menschen drohen mitten im Europa des 21. Jahrhunderts zu erfrieren, während die politisch Verantwortlichen tatenlos zuschauen und sich gegenseitig in Heuchelei überbieten.
Nur durch den Aktivismus zahlloser Helfer*innen und solidarischer Menschen von Skandinavien bis in die Türkei konnte ein noch schlimmeres Ausmaß dieser Katastrophe verhindert werden – und wir wissen, dass auch in Zukunft unser aller Einsatz nötig sein wird, um für alle Menschen dieser Welt ein Leben in Würde und mit gleichen Rechten für alle zu erreichen.
Für legale Fluchtwege!
Fähren statt Frontex!
Fluchthilfe entkriminalisieren!